Wenn Sportler stärker und beweglicher werden wollen, denken sie in erster Linie an höhere Gewichte oder Dehnübungen. Dabei bestimmt etwas ganz anderes den Fortschritt mit: unser Gehirn. Neuroathletik setzt genau an diesem Punkt an.
Alles beginnt im Kopf. Unser Gehirn ist sozusagen die Steuerzentrale für Bewegung, Kraft und Schmerz. Noch bevor wir einen Muskel anspannen, steht fest, wie gut die jeweilige Übung ausgeführt werden kann. Und dennoch bleiben neuronale Prozesse beim Training meistens völlig unberücksichtigt. Eine enorme Verschwendung des Potenzials: Denn egal wie hart das Workout ist, wie oft wir dehnen oder unsere Faszien bearbeiten – Fortschritte fallen weit geringer aus, wenn die „Bewegungssoftware“ nicht optimal funktioniert und die Leistung dadurch unbemerkt gebremst wird.
Experte Patrick Meinart verrät, was neurozentriertes Krafttraining ist und wie jeder davon profitieren kann. Gleich vorweg: Es gibt nicht die eine Übung für dieses oder jenes Problem. Wer seine neuronalen Abläufe verbessern und damit leistungsfähiger werden will, muss individualisiert vorgehen. Dafür sind die Resultate unmittelbar fühl-, mess- sowie sichtbar.
Beim Krafttraining stehen normalerweise biomechanische Abläufe im Vordergrund. Warum wäre es Ihrer Meinung nach sinnvoll, die neuronale Komponente stärker miteinzubeziehen?
Patrick Meinart: Beim Krafttraining geht es überwiegend um den Output: Wie viel Gewicht kann ich drücken? Wie viele Wiederholungen schaffe ich? Alles ist darauf ausgelegt, die Leistung der Muskulatur zu optimieren. Doch jede Bewegung beginnt immer mit einem Input – also den Reizen, die unser Körper über die Augen, den Gleichgewichtsinn sowie das propriozeptive System wahrnimmt und ans Gehirn zur Verarbeitung weiterleitet.
Nur wenn Reizaufnahme und Verarbeitung optimal ablaufen, kann ein dementsprechend optimaler Output erfolgen. Einfach nur den Muskel weiter zu belasten, wenn man nicht den gewünschten Effekt erzielt hat, ist oft nicht sinnvoll und kann sogar schädlich sein. Manchmal müssen wir ein Schritt zurückgehen und das große Ganze betrachten. Und dazu gehört auch das Gehirn, das den Körper nun mal steuert.
Haben Sie ein konkretes Beispiel aus dem Trainingsalltag, das veranschaulicht, wie neurozentriertes Krafttraining funktioniert und wie Sportler davon profitieren können?
Patrick Meinart: Nehmen wir die Kniebeuge. Die häufigsten Probleme dabei sind die mangelnde Tiefe, Schmerzen im unteren Rücken oder ein sogenannter „weight shift“, ein Verschieben des Körpergewichts auf eine Seite.
Eine unzureichende Tiefe kann strukturell beispielsweise etwas mit der Beckenanatomie zu tun haben. Neuronal betrachtet kann es jedoch sein, dass bestimmte Muskeln einen erhöhten Tonus aufweisen, der zu einer Bewegungseinschränkung führt. Dabei handelt es sich oft um einen Schutzreflex, der durch Mobilisation der gestörten Gelenksysteme behoben werden kann. Das führt dann zu einem verbesserten Input und zu einer gesteigerten Verarbeitung im Gehirn. Das wiederum resultiert in einem besseren Output: Der Sportler kann plötzlich tiefer beugen.
Eine Gewichtsverschiebung kann durch Störungen im Gleichgewichtssystem entstehen, das unter anderem mit dem Nacken verbunden ist. Deshalb können sogar Verspannungen und Bewegungsdefizite im Nacken zu einem „weight shift“ bei der Kniebeuge führen. Wenn man diese neuronalen Zusammenhänge versteht, kann man dem Athleten besser helfen und Probleme beheben.
Im Leistungssport wird bereits verstärkt auf neurozentriertes Training gesetzt. Inwiefern eignet sich dieser Zugang auch für Hobbysportler?
Patrick Meinart: Das Ziel von neurozentriertem Training sind bessere Leistungen und Fortschritte. Das kann mit mehr Kraft, weniger Schmerzen oder weniger Problemen bei bestimmten Übungen zu tun haben. Daher eignet sich das Training für jeden, der gerne Sport macht und sich verbessern möchte.
Grundsätzlich ist eine individuelle Betreuung sinnvoll, da jeder Mensch in seinen Bewegungen so einzigartig ist wie sein Fingerabdruck. Dennoch gibt es auch Möglichkeiten, sich selbst zu helfen – hierfür gibt es bereits entsprechende Fachliteratur auf dem Markt.
Der Zeitaufwand ist übrigens gering, weil neurozentriertes Training individuell angepasst und auf den Punkt gebracht ist. Häufig führen Sportler Übungen aus, die für sie entweder nutzlos oder sogar schädlich sind. Wenn man die richtigen Übungen für sich erkennt, erreicht man seine Ziele schneller. Und dieses Ziel kann auch einfach nur „besser aussehen“ sein, was ja auch mit einer besseren Leistungsfähigkeit zu tun hat.
Neurozentriertes Krafttraining ist ein noch ziemlich unbekanntes Gebiet. Wie sind Sie dazu gekommen?
Patrick Meinart: Den ersten Kontakt zu neurozentriertem Training hatte ich etwa 2013 durch Dr. Eric Cobb. Er ist Vorreiter in Sachen funktioneller Neurologie und hat es mit seinem Z-Health-Konzept hervorragend geschafft, ein überaus komplexes Thema einfach hinunterzubrechen und auf den Athletik- und Gesundheitsmarkt zu übertragen. Seit diesem Zeitpunkt konzentriere ich mich auf dieses Feld und merke immer wieder, welche Möglichkeiten es offenbart und wie rückständig viele klassische Trainingskonzepte sind.