Spektakuläre Alpenkulissen erwandern und jederzeit auf die Bahn umsteigen: Das macht die Via Albula/Bernina im Schweizer Kanton Graubünden aus.
„Man kann eben nicht immer mit strahlendem Sonnenschein empfangen werden“, sagt Guide Roman Cathomas und lacht. Ich ziehe meine Kapuze weiter ins Gesicht und stapfe vorsichtig den steilen, schlammigen Pfad nach oben. Die erste Wanderung führt uns zur Burg Hohen Rätien, die auf einem mächtigen Felsen hoch über der Viamala-Schlucht thront. Oben angekommen ziehen dicke Nebelschwaden über das nasse Gras hinweg. Doch auch ohne Aussicht hat sich der Aufstieg gelohnt. Denn das Plateau, auf dem sich heute weitläufige Wiesen, eine Kirche sowie ein Wohn- und Wehrturm befinden, beherbergt Spuren aus allen Zeitepochen.
Pilger, Händler und Säumer nutzten das Areal wegen seiner tollen Lage als Warenumschlagplatz und Herberge. Im Norden geht es zum Bodensee, im Süden Richtung Italien. Auch die Römer waren hier, wie bauliche Überreste belegen. Für Aufsehen sorgte aber vor allem der Fund eines frühchristlichen Taufbeckens aus dem 5. Jahrhundert. Es wurde zur Ganzkörpertaufe von Erwachsenen genutzt, wie uns Burg-Experte Rudolf Küntzel erklärt. Nach der Besichtigung der Anlage geht es weiter durch den strömenden Regen. Ich bin froh, dass auch mein Rucksacküberzug der Nässe standhält.
Durch drei Sprachregionen
Dass man auf mehrtägigen Wandertouren für jedes Wetter gewappnet sein muss, versteht sich von selbst. Entlang des 131 Kilometer langen Weitwanderweges Via Albula/Bernina im Schweizer Kanton Graubünden hat man allerdings ein rotes Ass im Ärmel: die Rhätische Bahn. Ihre über 100 Jahre alten Brücken, Viadukte und Kehrtunnels schlängeln sich harmonisch durch die alpine Landschaft – ein Meisterwerk der frühen Eisenbahningenieurkunst, das der Linie zum UNESCO-Welterbestatus verholfen hat. Wer zu Fuß nicht mehr weitergehen kann oder will, steigt einfach bei der nächstgelegenen Station ein.
Möglichkeiten dafür gibt es genug: Immer wieder kreuzen die Züge den Weitwanderweg, der vom nördlich der Alpen gelegenen Thusis bis nach Tirano im Süden führt und drei Sprach- und Kulturregionen quert. „Wer möglichst viel davon sehen möchte, sollte sich rund zehn Tage Zeit nehmen“, meint Roman. Wir sind zwar nur drei Tage in Graubünden unterwegs, können uns aber ein gutes Bild von der Vielseitigkeit des Weitwanderweges machen: von hochalpinen, alpinen und mediterranen Zonen, Zugbauten wie dem Schmittnertobel- oder dem Landwasserviadukt über das Bahnmuseum in Bergün bis hin zu den tausende Jahre alten Gletschermühlen in Cavaglia.
Gipfel, Seen und Alpenwiesen
Mit einem beeindruckenden Bergpanorama punktet vor allem die Wanderung nach Ospizio Bernina, dem höchsten Punkt der Strecke mit rund 2.250 Metern: Umringt von schneebedeckten, schroffen Gipfeln geht es über mit Wacholder bedeckte Alpenwiesen vorbei am Lago Bianco. Gletscherwasser und Sand lassen den Stausee milchig-weiß erscheinen. Er ist außerdem eine Wasserscheide: Ostwärts fließt das Wasser in das Schwarze Meer, südwärts in die Adria.
Auch mit der Rhätischen Bahn ist dieser Wanderabschnitt ein Erlebnis. Die Züge winden sich in zahlreichen Kehren, um den Höhenunterschied zu überwinden. Vor allem Urlauber wie ich, für die Eisenbahnen bisher nur ganz normale Fortbewegungsmittel waren, kommen dabei ins Staunen.
Tipps für Graubünden
- Hotel Weiss Kreuz
Die familiäre Unterkunft liegt in Thusis, dem Ausgangspunkt der Albula- und Berninalinie. Viele Gäste verbringen dort ein paar Tage vor der Wandertour. Überaus nettes Personal, gutes Essen. In der Nähe: die Burg Hohen Rätien und die Viamala-Schlucht.
- Albergo Ospizio Bernina
Am Berninapass, in 2.309 Meter Höhe, begrüßt das Albergo Ospizio Bernina seine Gäste. Die Zimmer sind gemütlich rustikal eingerichtet, die Terrasse bietet einen tollen Ausblick auf die Gletscher und das italienische Restaurant ist absolut empfehlenswert.
- Bahnmuseum
Modellanlage, Fahrsimulator, originale Exponate und multimedial gestaltete Schauräume: Im Bahnmuseum Albula erfahren die Besucher alles über die spektakulärste Schweizer Bahnstrecke – von der Baugeschichte bis zu gesellschaftlichen Veränderungen durch den Bahnbau.
- Gletschergarten
Beim Rückzug des Palügletschers haben Wasser, Sand und Geröll tiefe Gletschertöpfe in die Felsen gegraben. Die Skulpturen der Natur wurden in den 90er-Jahren freigelegt und können auf einem Rundweg besichtigt werden.