Bremsen Antioxidantien deine Fortschritte?

Von Pillen mit Vitamin C oder Grüntee-Extrakt sollten Sportler lieber die die Finger lassen. Denn so gesund natürliche Antioxidantien auch sind – in Kapselform können die Radikalfänger Trainingsfortschritt und Muskelaufbau behindern.

Freie Radikale? Oxidativer Stress? Selbst wer sich noch nicht genauer mit diesem Thema beschäftigt hat, weiß, wie schädlich beides für unseren Körper sein kann. Das ist auch der Grund, warum der Markt für Antioxidantien boomt: Nährstoffe wie Vitamin C, Vitamin E, Betacarotin, Selen, Zink, α-Liponsäure (ALA), Traubenkern- oder Grüntee-Extrakt gelten als Wunderwaffen gegen freie Radikale. Sie sollen für bessere Leistungen, jüngeres Aussehen und mehr Gesundheit sorgen.

Warum besonders Sportler gerne zu Nahrungsergänzungsmitteln mit Antioxidantien greifen, liegt scheinbar auf der Hand: Das Training erhöht den Stoffwechsel und vervielfacht die Anzahl freier Radikale, die andere Körperzellen schädigen. Beschwerden wie Schmerzen im Muskel- und Sehnenbereich, Entzündungen sowie Müdigkeit werden häufig auf diesen Umstand zurückgeführt. „Es ist richtig, dass Sportler einem höheren oxidativen Stress ausgesetzt sind“, bestätigt Johannes Scherr, leitender Oberarzt des Zentrums für Präventive und Rehabilitative Sportmedizin der Technischen Universität München. „Aber dieser Stress ist gut und begünstigt den Trainingsfortschritt.“

Künstliche Antioxidantien hemmen Superkompensation

Der Mediziner konkretisiert: „Nach der Einnahme exogener, also von außen zugeführter Antioxidantien ist die Trainingserschöpfung zwar weniger stark. Dafür wird aber auch die Superkompensation gehemmt. Das heißt, Leistungssteigerung und Muskelaufbau fallen geringer aus als ohne Antioxidantien.“

Zu diesem Schluss kommt auch Michael Ristow, Professor für Energiestoffwechsel an der ETH Zürich. In seinen Arbeiten hat er unter anderem nachgewiesen, dass die gesundheitsfördernde Wirkung von Ausdauersport ausgerechnet auf den oxidativen Stress zurückzuführen ist. „Mittlerweile weiß man, dass Sauerstoffradikale positiv zur Leistungssteigerung und zum Muskelaufbau beitragen können. Deshalb sind Substanzen, die diese Radikale neutralisieren, eher ungünstig“, sagt Ristow.

Sowohl Scherr als auch Ristow raten Sportlern generell davon ab, Antioxidantien zu supplementieren – egal ob morgens oder abends, einige Stunden vor oder kurz nach dem Workout. Ausnahmen stellen lediglich Nährstoffmängel oder Wettkampfphasen dar. „Vor Wettkämpfen spielt der Trainingsfortschritt eine untergeordnete Rolle. Da geht es geht eher darum, das Stressniveau möglichst gering zu halten“, meint Scherr.

Körpereigene Abwehrmechanismen wichtig

Doch warum ist eine gewisse Menge an oxidativem Stress gut? „Er löst einen natürlichen Abwehrmechanismus aus: Der Körper produziert Stoffe wie Katalase und Glutathion, die für die Anpassung an die neue Belastungsintensität wichtig sind“, sagt Scherr. Bei regelmäßigem Training schützt der Körper sich also selbst, der Sport an sich wirkt antioxidativ. Wer zusätzlich synthetisch isolierte Radikalfänger einnimmt, stört diese Vorgänge.

Ganz anders sieht es übrigens mit Antioxidantien aus naturbelassenen Lebensmitteln wie frischem Obst und Gemüse aus. Sie enthalten die ideale Nährstoffkombination bzw. -konzentration und unterstützen das körpereigene Abwehrsystem. Die allgemeine Empfehlung lautet: den täglichen Speiseplan mit Beeren (blau/violett), Tomaten (rot), Karotten (orange), Paprika (gelb) oder Brokkoli (grün) möglichst bunt gestalten.

Freie Radikale vs. Antioxidantien: Wie war das noch mal?

Die Entstehung freier Radikale ist ein ganz natürlicher Prozess: Unsere Zellen benötigen Sauerstoff, um Nährstoffe in Energie umzuwandeln. Dabei entstehen auch Abfallprodukte: Rund fünf Prozent des eingeatmeten Sauerstoffs enden als freie Radikale – das sind Moleküle, denen ein Elektron fehlt. Sie attackieren nächstgelegene intakte Zellen, um ihnen ein Elektron zu entreißen. Antioxidantien verhindern das, indem sie an die aggressiven Sauerstoffverbindungen andocken und sie unschädlich machen.

Das ist allerdings nicht immer sinnvoll – denn freie Radikale erfüllen auch eine Vielzahl wichtiger Funktionen. Das Immunsystem setzt sie zum Beispiel ein, um unkontrolliert wachsende Zellen oder Krankheitserreger zu zerstören.

Überschreitet die Menge an freien Radikalen jedoch die Kapazität des körpereigenen Abwehrsystems, spricht man von oxidativem Stress. Im Fall sportlicher Belastungen kann er durchaus positive Auswirkungen haben. Er kann aber auch der Gesundheit schaden: So werden viele Erkrankungen wie Krebs oder chronische Entzündungen auf zu viel oxidativen Stress durch unausgewogene Ernährung, UV-Strahlen, Medikamente, Nikotin, Alkohol sowie Umweltgifte zurückgeführt.

Wie so oft kommt es also auf die Balance an: Sowohl freie Radikale, als auch Antioxidantien erfüllen wichtige Aufgaben im Körper und haben ihre Daseinsberechtigung.

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