Der aktuelle Faszien-Hype dreht sich in erster Linie um die bunten, gewinnbringenden Massagerollen. Wer Körperkontur, Beweglichkeit und Regeneration verbessern sowie Schmerzen bekämpfen möchte, sollte aber auch seine Krafttrainings-Routine ergänzen. Laut Experte Robert Schleip können schon kleine Veränderungen viel bewirken.
„Faszien arbeiten mit unseren Muskeln zusammen, reagieren aber ganz anders auf Trainingsreize. Sie mögen keine isolierten, eindimensionalen Bewegungsabläufe und brauchen länger, um sich von Belastungen zu erholen“, macht Robert Schleip klar. Er ist Humanbiologe, Leiter der Fascia Research Group der Universität Ulm und beschäftigt sich seit 2008 wissenschaftlich mit dem weißen Bindegewebe, das unseren gesamten Körper durchzieht. „Wer diese Fakten nicht berücksichtigt, riskiert Verletzungen und Veränderungen in der Faszienstruktur, die zu Schmerzen führen. Vielen ist in diesem Zusammenhang das Wort Verfilzung, Verklebung oder Verdickung bekannt.“
Moderate Belastung zwei Mal pro Woche
Beim Training bestimmen die Faszien mit, wie beweglich (Range of Motion) und leistungsfähig wir bei einer Übung sind. Zudem sorgen sie dafür, dass wir mehr Kraft haben, als unsere Muskeln eigentlich aufbringen können. Dafür ist der sogenannte Katapult-Effekt verantwortlich: Das Fasziengewebe speichert kinetische Energie, die bei der anschließenden Bewegung gezielt freigesetzt wird. „Denken Sie an ein Känguru. Seine weiten Sprünge sind nicht mit reiner Muskelkraft erklärbar. Das Tier spannt vor dem Sprung kurz in die Gegenrichtung vor. Die Energie wird in den Faszien gespeichert und im Moment des Absprungs wie eine Peitsche losgelassen“, legt Schleip dar.
Weil Faszien eine wesentliche Rolle in Sachen Beweglichkeit, Kraftzuwachs, Muskelaufbau, Schmerzbeseitigung und Körperkontur spielen, plädiert der Forscher dafür, sie auch beim Workout zu berücksichtigen. „Es nimmt nicht viel Zeit in Anspruch, zusätzlich positive Reize für das Bindegewebe zu setzen. Früher dachte man, das passiert ganz automatisch während des Trainings. Heute weiß man, dass Muskeln eher mit einem Dimmschalter vergleichbar sind – nach dem Motto ‚Mehr ist mehr’ –, während Faszien wie ein Kippschalter funktionieren. Bei ihnen sind hohe Wiederholungszahlen kontraproduktiv. Und weil sie länger brauchen, um zu regenerieren, reicht es, sie zwei Mal pro Woche gezielt anzusprechen“, erklärt Schleip.
Werden die „richtigen“ Übungsimpulse für die Faszien gesetzt, kommt es zu einer vermehrten Kollagensynthese: Das Bindegewebe wird nicht nur stärker, sondern auch geschmeidiger und weniger anfällig für Verletzungen oder schmerzhafte Veränderungen.
Wachstumsimpulse mit Mini Bounces
Es gibt verschiedene Arten des Faszientrainings, wobei die allseits bekannten Massagerollen nur eine von insgesamt vier Komponenten darstellen:
- Faszienmassage mit Rollen und Bällen
- Langkettige Dehnübungen, wie sie zum Beispiel beim Yoga vorkommen
- Federnde Bewegungen wie Gehen, Laufen, Hüpfen oder Wippen
- Verbesserung der Körperwahrnehmung, die hauptsächlich über die Faszien läuft, durch ganz bewusst durchgeführte Bewegungsabläufe
Speziell Punkt 3 kann ganz einfach in die Krafttrainings-Routine eingebaut werden. Schleip erklärt: „Grundsätzlich geht es darum, im gedehnten Zustand eine federnde Belastung auf die Faszie auszuüben. Diese Mini Bounces waren lange verpönt, weil sie für die Muskeln ineffizient waren und die Verletzungsgefahr erhöht haben. Jetzt ist man aber draufgekommen, dass sie sich richtig dosiert wunderbar zur Förderung der elastischen Federungskapazität der Faszien eignen.“
Was das konkret bedeutet? Zwei Mal in der Woche sollten ein paar fasziale Übungen ins Training eingebaut werden, zum Beispiel am Butterfly: Nach der letzten Wiederholung des Satzes wird in der Ausgangsposition, in der sich der große Brustmuskel in Dehnung befindet, noch drei bis fünf Mal kurz gewippt. Bei diesen Mini Bounces reichen wenige Zentimeter, um den Faszien zu zeigen, dass sie stärker werden müssen.
Auch die Massagerollen können durchaus rund ums Workout eingesetzt werden. „Sie haben weder positive noch negative Auswirkungen auf die sportliche Leistungsfähigkeit, können aber kurzfristig Beweglichkeit und Regeneration verbessern“, so Schleip. Anders sieht es mit statischen Dehnübungen aus. Sie sollten keinesfalls unmittelbar vor dem Training ausgeführt werden, weil das die anschließende Leistung minimieren würde. „Niemals hätte Usain Bolt vor einem Sprint seine Waden statisch gedehnt. Das hätte ihn langsamer gemacht und wertvolle Zeit gekostet“, sagt Schleip.